Wir brauchen Role Models - Prof. Dr. med. Annalisa Berzigotti
Ich habe Frau Professorin Berzigotti kennengelernt, als ich sie im Frühling dieses Jahres in ihrem Büro im Inselspital besuchen durfte und sie mir etwas von ihrer sehr wertvollen Zeit schenkte, um über ihren eigenen Karriereweg und Female Leadership in der Ärzteschaft zu sprechen. Sie ist in meinen Augen ein ganz wichtiges Role Model für all die Ärztinnen, die sich auf den Weg nach oben aufgemacht haben und für uns alle mit ihrer Exzellenz und ihrer Menschlichkeit da sein werden, wenn wir sie brauchen.
Liebe Frau Professor Berzigotti
Sie sind seit dem 1. April 2023 Klinikdirektorin für Hepatologie am Inselspital. Was an Ihrer Führungsrolle gefällt Ihnen besonders gut? Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Es gibt viele Aspekte meiner Führungsrolle, die mir gut gefallen. Was ich besonders schätze, ist die Möglichkeit, zusammen mit meinem Team einen positiven Einfluss auf die Organisation der Gesundheitsversorgung bei Lebererkrankungen ausüben zu können. Es ist für mich ein bisschen, als wäre ich die Dirigentin eines Orchesters. In dieser Rolle weisst du, welche Musikinstrumente dir zur Verfügung stehen: deine Kolleg:innen und Mitarbeitenden in deiner Klinik und Kolleg:innen aus anderen Disziplinen und Berufen. Du weisst, welchen Klang sie haben - jeder und jede hat ein besonderes Talent, durch das er/sie sich ausdrücken kann. Und du weisst, in welchem Saal das Konzert stattfindet - im Krankenhaus und in der Universität mit ihren Infrastrukturen, und wer das Publikum ist: deine Patient:innen und die jüngeren Kolleg:innen, die sich in Aus- und Weiterbildung befinden.
Als Dirigentin musst du eine umfassende Vision haben, die all diese Teile integriert, um die richtige Harmonie und den richtigen Rhythmus zu erschaffen, um ein ausgezeichnetes «Konzert» zu produzieren. Jeder Teil ist wichtig, und keiner sollte zu viel Raum einnehmen, sonst kann es keine Musik geben. Und ausserdem wird diese Musik am Ende deine persönliche Note haben, die sich von allen anderen Orchestern unterscheidet. Genau dieser Unterschied macht alle Beteiligten stolz, in ebendiesem Orchester zu spielen.
Ich kann dies gern anhand eines konkreten Beispiels zeigen: In kurzer Zeit haben wir es geschafft, viele komplexe Prozesse zu vereinfachen, indem wir gemeinsam darüber diskutiert haben, was und wie genau standardisiert werden soll. Da alle an diesem Prozess beteiligt waren, war die Veränderung gleichzeitig spontan und sehr effektiv.
Ein Rossini-Crescendo!
Wann brauchen Sie in der Führung besonders viel Mut? Und was hilft Ihnen dabei?
Wir leben derzeit in einer sich ständig verändernden Umgebung. In den letzten Jahren gab es die Pandemie, einen Krieg in Europa, die Krise im Gesundheitssystem und den sich immer stärker auswirkenden Fachkräftemangel. In einer solchen Situation müssen oft Entscheidungen getroffen werden, obwohl die Zukunft ungewiss ist und man sich nicht auf sichere Fakten abstützen kann. Man muss als Führungskraft den Mut haben, Risiken einzugehen, um in die strategische Richtung zu gehen, die man gewählt hat. Und diese muss in Einklang mit den eigenen Kernwerten stehen, und zwar für das Wohl der Klinik. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die das Gesamtteam grundsätzlich die Entscheidung trägt Risiken einzugehen. Meiner Meinung nach ist dies fast immer möglich, wenn die man gemeinsame Kernwerte teilt, und es eine gute Kommunikation gibt, in der kontinuierliche Verbesserung und Kritik möglich sind. Mir hilft es sehr, über die möglichen Risiken und Vorteile der zu treffenden Entscheidungen zu sprechen, indem ich mit meinen Kolleg:innen mögliche Szenarien diskutiere. Auch wenn die Entscheidung am Ende meine ist, gibt es immer eine gemeinsame Komponente für mich, die mir das Gefühl gibt, dass ich nicht alleine unterwegs bin in schwierigen Zeiten.
Was möchten Sie für sich und Ihre Klinik in den nächsten zwei bis drei Jahren erreichen?
In den kommenden Jahren möchte ich ein sehr ehrgeiziges Ziel erreichen, nämlich dass ausnahmslos jedes Mitglied unseres Teams seine Fähigkeiten weiterentwickelt. Ich bin fest davon überzeugt, dass exzellente klinische Arbeit, Forschung und Lehre Hand in Hand gehen sollten, und dass für Exzellenz auch die Beteiligung an Forschung und Lehre notwendig ist. Unsere Klinik ist bereits stark in der akademischen Arbeit engagiert, aber ich möchte die Ressourcen finden, um das individuelle Talent jedes/r Einzelnen in seinem/ihrem jeweiligen Fachgebiet optimal zu nutzen. Ich würde besonders gerne sehen, wie unsere jüngeren Kolleginnen und Kollegen akademisch "aufblühen" und ich hoffe, dass ich ihnen bestmöglich dabei helfen kann.
Letztendlich möchte ich einfach immer mehr glückliche und erfüllte Menschen um mich herum haben.
Wann sind Sie in Ihrer Führungsarbeit richtig glücklich?
Wenn ich meine Kolleg:innen und Mitarbeitenden lächeln sehe und ich eine optimistische Arbeitsatmosphäre und gute, dynamische Energie spüre. Und es macht mich auch glücklich, wenn eine mittelfristige Strategie zur Erreichung eines komplexen Ziels die erwarteten Ergebnisse bringt und sich eine echte Verbesserung einstellt. Es geht nie um einen individuellen Erfolg, sondern um einen Erfolg des Gesamtteams, und es macht wirklich Freude dies gemeinsam mit anderen Menschen zu erleben.
Wenn wir uns daran erinnern, warum wir uns dazu entschieden haben, Ärzt:innen und Gesundheitsfachkräfte zu werden, und wenn wir Ausdauer haben und stolz darauf sind, anderen Menschen aufgrund unseres erworbenen Wissens helfen zu können, dann werden wir selbst zu positiven Veränderungsfaktoren in unserer Umwelt. Ich bin überzeugt davon, dass keine schwierige Phase ewig andauert. Auch diese turbulente Zeit in der Geschichte wird sicherlich vorübergehen.
Wie setzen Sie sich konkret für die Förderung von Frauenkarrieren in der Ärzteschaft ein?
Ich denke, dass Frauen tiefgreifend verstehen müssen, dass sie genauso viel wert sind wie Männer, und dass sie erstklassige berufliche Fähigkeiten erwerben können und sollten, die es ihnen ermöglichen hochgradig wettbewerbsfähig zu sein. Nur durch positive Vorbilder von Frauen, die bereits in diese Richtung gegangen sind, kann dieses Ziel erreicht werden. Ich versuche selbst hier vorauszugehen und habe das Glück, mit anderen Kolleginnen zusammenzuarbeiten, die echte Vorbilder sind - ich denke zum Beispiel an meine Kolleginnen in der Hepatologie und in der viszeralen Chirurgie. Es ist möglich, eine Balance zwischen einem anspruchsvollen Beruf wie dem einer Ärztin in einem universitären Krankenhaus und dem Familienleben zu finden. Es ist jedoch extrem wichtig, dass dabei alle Beteiligten Verständnis für die Bedürfnisse anderer bei der Arbeitsplanung haben. In meiner Klinik ist es zum Beispiel ganz normal, die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung zu erhalten. Ausserdem setzen sich meine Kolleginnen und ich täglich dafür ein, die jüngeren Ärztinnen durch Mentoring zu unterstützen.
Es gibt so viele mutige und aussergewöhnliche Frauen, von denen man sich inspirieren lassen kann, dass es letztlich nur darum geht, sich davon zu überzeugen, dass man auf dieser Reise nicht allein ist.
Trotz all der Hindernisse: Yes, we can and we will make it!
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