DIE ANDERE SITZUNG
Sitzungsräume mit ihrer Ausstattung und Sitzordnung sind eigentliche Bühnen hierarchischer Organisationen. Hier werden die Funktionen und Machtverhältnisse dargestellt und zelebriert. Auf der Bühne wird, wie sich das im Theater gehört, Selbstdarstellung betrieben und es werden Allianzen geschmiedet. Es wird verhandelt, geblufft und höchst selten inhaltlich gearbeitet. Je höher das Gremium oder die jeweiligen Teilnehmenden innerhalb der Organisation angesiedelt sind, desto mehr geht es um Form und desto weniger um Inhalte.
Im Folgenden möchte ich für alle, die zu Sitzungen eingeladen werden, aber auch speziell für jene, die Sitzungen leiten, ein paar wichtige Tipps und Taktiken zusammenstellen. Darunter gibt es solche, die helfen, sich auf der Macht- und Statusebene besser durchzusetzen und solche, die dazu beitragen, ebendiese Bühnenspiele zu durchbrechen und mehr Produktivität zu erzeugen.
Klassische Sitzung am rechteckigen Tisch:
Wer wo am Sitzungstisch Platz nimmt, sagt viel über Position und Strategie der Beteiligten aus. Zuoberst am Tisch, und das heisst normalerweise mit Blick zur Tür, sitzt die Nummer 1 der Runde. Das kann die Person sein, die effektiv die Sitzung leitet, aber auch ein Mitglied der Runde, das sich positionieren will und allenfalls sogar die Sitzungsleitung angreift, indem es den Platz usurpiert. Einige Führungspersonen, die sich nicht auf den Platz der Nummer 1 setzen, verkennen manchmal schlicht die Bedeutung der Sitzordnung. Andere meinen, dadurch, dass sie sich absichtlich nicht an den Kopf des Tisches setzen, als Leiterin oder Leiter sympathischer zu wirken. Sie laufen aber Gefahr, dadurch gegenüber Machtspielern an Status einzubüssen, den sie sich mühsam zurückerobern müssen.
Die traditionelle Runde um den Tisch wird ergänzt durch die Nummer 2 zur Rechten der Nummer 1 und die Nummer 3 zur Linken. Je weiter unten am Tisch jemand Platz nimmt, desto tiefer der Status, es sei denn, man setzt sich ans untere Ende des Tischs, also der Nummer 1 gegenüber. Das ist die klassische Position der Opposition. Und hierhin setzt man sich besser nur, wenn man diese Rolle auch wirklich zu spielen gewillt ist.
Ovale, quadratische und runde Tische funktionieren übrigens genau gleich wie lange rechteckige, wenn Spieler und Spielerinnen im Raum sind, die die Bühne nutzen wollen. Gegenüber der Tür ist in diesem Fall auch an einem runden Tisch der Platz der 1.
Taktiken für die Nummer 1
Die Nummer 1 kann nun verschiedenes unternehmen,
um sich zu positionieren:
Bewusst den Platz der Nummer 1 einnehmen und auf dem Platz bestehen.
Den Tisch vor der Sitzung vom Praktikanten oder der Sekretärin aufdecken lassen und damit definieren, welche Plätze überhaupt besetzt werden sollen.
Den Stuhl am unteren Tischende entfernen und so Opponenten und Opponentinnen daran hindern, dort Platz zu nehmen.
Immer wieder den Platz wechseln und demonstrieren, „Wo ich sitze, ist oben am Tisch“. Das funktioniert nur für sehr dominante Chefs und Chefinnen.
um das alte Spiel durcheinander zu bringen:
Am ersten Tag als neue Sitzungsleiterin alle Teilnehmenden die angestammten Plätze wechseln lassen. Man hört, dass Angela Merkel diese Taktik angewandt habe.
Die Zahl der Teilnehmenden nach dem Sitzungsziel ausrichten gemäss Regel: 6 Personen für einen intimeren Rahmen, 12 für Diversität, 120 für Schwarmintelligenz … Besonders Letzteres bedingt natürlich Fähigkeiten in Grossgruppenmoderation.
um eine konstruktive und ergebnisorientierte Stimmung zu erzeugen:
Vermeiden von „tribalen Zugehörigkeiten“, das heisst nicht von „wir“ und „ihr“ sprechen und das gemeinsame Ziel des Treffens betonen.
Im Fall, dass jemand sich nicht konstruktiv verhält, folgende Frage stellen: „Welche Herausforderungen haben Sie zu bewältigen? Erzählen Sie mir doch einmal davon.“
Den Status anderer Teilnehmender nie in Frage stellen oder angreifen.
Das eigene Verhalten im Griff haben, indem man immer Dankbarkeit zeigt, nie schmollt und sich nicht zurückzieht, wenn es nicht so läuft, wie man es gerne hätte.
„Entweder-oder-Diskussionen“ vermeiden.
Wenn man bewusst oder unbewusst Macht- und Ordnungsverhältnisse ändert oder stört, wirkt sich dies direkt auf Atmosphäre und Resultate einer Sitzung aus. Aus einer Position der Stärke heraus ist es möglich, bestehende Kraftverhältnisse durcheinanderzubringen. Nur mit nett sein und Nachgeben gelingt es hingegen weder möglichst gute Resultate zu erzeugen noch sich durchzusetzen. Vor allem dann nicht, wenn taktische Spieler in der Runde sitzen, die das Vakuum zu nutzen wissen. Für das eigene Wohlbefinden kann es hilfreich sein, Sitzungen spielerisch anzugehen und sich in Gelassenheit zu üben. Viele Dynamiken haben nämlich nichts mit einem selbst, sondern mit Konstellationen und Taktik zu tun.
Ein paar der Tipps stammen aus Dave Brooks Artikel “Kindness is a Skill”, erschienen in der New York Times.
Hier geht es zu zwei Blogposts zum Thema “Videokonferenzen” (Teil 1, Teil 2). Es ist interessant zu sehen, was im zweidimensionalen Raum anders ist als im dreidimensionalen.